Steinzeit bei Schimpansen

Foto: Krähe sitzt auf Wildschwein

Ob diese Krähe überlegt, wie sie das Schwein lenken kann? Und wenn sie rauskriegt, wie das geht, könnte sie es ihren Kindern sagen? (Das ist übrigens im Käfertaler Wildpark)

Auf meinem Mal-genauer-ansehen-Stapel lag schon seit der Forschung aktuell-Sendung vom 25. Januar die Geschichte von den Schimpansen und den Steinen. In aller Kürze: Irgendwo in Guinea leben zwei Schimpansengruppen (-stämme?), deren eine seit vielen Jahren mit großer Selbstverständlichkeit Nüsse mit Steinen knackt, deren andere aber das noch nicht mal tut, wenn mensch ihnen Steine und Nüsse frei Haus liefert. Der Clou: die beiden Gruppen wohnen nur ein paar Kilometer voneinander entfernt.

Ich fand diese Geschichte sehr bemerkenswert, und zwar einerseits, weil ich Schimpansen grundsätzlich für kreativ genug gehalten hätte, um bei so viel Nachhilfe schnell selbst aufs Nüsseknacken zu kommen. Krähen zum Beispiel – jedenfalls die im Handschuhsheimer Feld – werfen Nüsse aus großer Höhe auf Teerstraßen, nicht aber auf normale Erde. Na gut, das mag auch soziales Lernen gewesen sein, aber ich will eigentlich schon glauben, dass so eine Krähe da auch selbst draufkommt. Und a propos „sozial“: Wer Möwen kennt, wird wohl wie ich sicher sein, dass deren Muschelknacktechniken, wenn überhaupt, nur durch antisoziales Lernen vermittelt werden könnten.

Wenn jedoch die Schimpansen zu vernagelt sein sollten, um rasch selbst auf die Nutzung eines Steins zum Nüsseknacken zu kommen, finde ich es andererseits fast unglaublich, dass Gruppen, die nur ein paar Kilometer voneinander entfernt leben, so wenig Austausch haben, dass sich so eine Kultur innerhalb von Jahrzehnten nicht sozusagen intertribal verbreitet. Es gehen doch immer wieder einzelne Tiere auf Wanderschaft, oder nicht?

Ein Gedanke, der mich beim Hören ein wenig beschäftigt hat, war: Was, wenn das nicht ganz ordinäre Dummheit ist, sondern dessen verschärfte Form, nämlich Patriotismus? In seinem Buch „Collapse – how societies choose to fail or succeed“ (gibts in der Imperial Library) spekuliert Jared Diamond, die mittelalterliche Wikingerkultur auf Grönland sei untergegangen, weil ihre Mitglieder darauf bestanden haben, wie „in der Heimat“, also von Getreide und Viehzucht, zu leben und nicht, wie die Inuit, die sie garantiert beobachtet haben werden, von Fisch. Das Bauernmodell habe die gegen Ende des mittelalterlichen Klimaoptimums sinkende Temperatur einfach nicht mitgemacht.

That [the Greenland Norse] did not hunt the ringed seals, fish, and whales which they must have seen the Inuit hunting was their own decision. The Norse starved in the presence of abundant unutilized food resources. Why did they make that decision, which from our perspective of hindsight seems suicidal?

Actually, from the perspective of their own observations, values, and previous experience, Norse decision-making was no more suicidal than is ours today.

Schon, weil dieser Artikel mit Wissenschaft getaggt ist, muss ich anmerken, dass Diamonds Argumente vielleicht nicht immer die stichhaltigsten sind und auch die Sache mit der Kälte zwar naheliegend, aber nicht alternativlos ist (vgl. Wissenschaft im Brennpunkt vom 14.11.2019) und wenigstens nach Zhao et al (2022), doi:10.1126/sciadv.abm4346, wegen Nicht-kälter-werden inzwischen regelrecht unplausibel wird. Und doch: Dass Kulturen Dinge aus völlig albernen Gründen tun (ich sage mal: Autos fahren und, schlimmer noch, parken) und noch mehr nicht tun (ich sage mal: Alltagsradeln), ist wahrlich nichts Neues. Was also, wenn sich die nichtknackenden Affen die Nüsse quasi vom Mund absparen, um nur sich nur ja nicht gemein zu machen mit den knackenden Affen von nebenan? Ich würde das Experiment ja gerne mal mit anderen, weiter entfernten Gruppen probieren.

Mit solchen Gedanken habe ich die Webseite der im DLF-Beitrag zitierten Kathelijne Koops von der Uni Zürich besucht. Ein Paper zur Nussgeschichte habe ich nicht gefunden – basierte der Beitrag im Januar auf einem Preprint? einer Pressemitteilung der Uni Zürich? –, aber dafür jede Menge anderer Papers, die es direkt in meinen Mal-genauer-ansehen-Stapel schaffen: „Quantifying gaze conspicuousness: Are humans distinct from chimpanzees and bonobos?“, „Chimpanzee termite fishing etiquette“ oder, im Hinblick auf meinen Dauerbrenner „Was taugen diese Zahlen eigentlich?“ besonders reizvoll: „How to measure chimpanzee party size?“. Ich bin ganz hingerissen.

Zitiert in: Affen zählen ist schwer

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