Schurken, Orden, und der Bau von U-Bahnen

Viel behelmte Polizei auf einer städtischen Straße

Mangels eines Freien Fotos zur Menschenrechtslage in Ägypten: So sah es auf der Route der Welcome to Hell-Demo beim G20-Gipfel im Juli 2017 aus, kurz nachdem die im Vergleich zu Ägypten ja noch relativ milde deutsche Staatsgewalt mit ihr fertig war.

Auch wenn ich bekennender Freund der Le Monde Diplomatique bin, bin ich erst jetzt dazu gekommen, die Ausgabe vom April 2022 zu lesen und darin eine recht bemerkenswerte Anekdote zu finden. Sie geht, in den Worten des Artikels Pharaonische Obsession von Léa Polverini, so:

Am 7. Dezember 2020 verlieh Präsident Emmanuel Macron [dem ägyptischen Diktator] Marschall al-Sisi – wenn auch diskret – das Große Kreuz der Ehrenlegion. Am 8. November 2021 konnte der französische Alstom-Konzern einen 876-Millionen-Euro-Auftrag für die Renovierung der Kairoer Metro melden, finanziert über die staatliche Entwicklungshilfe, also die Agence française de développement (AFD).

Nun mag es sein, dass das alles Zufall ist und nicht Industriepolitik; es ist ja auch fast ein Jahr zwischen den Ereignissen vergangen. Wirklich plausibel ist das jedoch nicht, zumal es prima zu meinen Experimenten zur Auswahl von „Führungspersonal“ passt. Deren Ergebnis – die starke Anreicherung von gewissenlosen Schurken hierarchieaufwärts – müsste nach dieser Geschichte allerdings ergänzt werden zu „gewissenlose eitle Schurken“. Ich nehme als Hausaufgabe mit, ein Modell zu ersinnen, das auch auf Eitelkeit selektiert.

Bei der vorliegenden Geschichte liegt die Gewissenlosigkeit und Schurkigkeit zunächst bei Macron. Ich will niemandes Gefühle verletzen, indem ich meine Präferenzen für die Aufnahme in die Ehrenlegion bei einer Wahl zwischen Putin und al-Sisi äußere, aber was Polizeiwillkür, Folter, Zensur, Militarisierung des Alltags, ungerechte Einkommensverteilung, rücksichtslose und wahnsinnige Großprojekte oder so in etwa jeden anderen Aspekt von Menschenrechten angeht, müssten sich die ÄgypterInnen mindestens ebenso dringend befreien wie die RussInnen. Wie sehr muss mensch jeder Sorte „Gesinnungsethik“[1] entsagt haben, um dem Organisator dieser Orgie von Unrecht Orden (und dann noch erster Stufe) an die Brust zu heften?

Ungefähr ebenso erschreckend finde ich jedoch den Eitelkeitsaspekt, der hier vor allem von al-Sisi abgedeckt wird (nicht, dass der kein Schurke wäre). Kann es wirklich sein, dass so ein Stück Blech über zahlreiche Leichen gehende Menschen wie al-Sisi in ihren politischen Entscheidungen beeinflusst? Nur zur Einordnung, worum es hier geht, zitiere ich aus der Wikipedia zur physischen Erscheinung des besagten Großkreuzes:

Ordensstern auf der linken Brust, dazu Ordensband getragen über rechter Schulter

Dafür vergibt der Mann Milliardenaufträge, finanziert durch Kredite, deren Rückzahlung wieder ein paar hunderttausend ÄgypterInnen in Not und Armut stoßen werden?

Aber gut: Wahrscheinlich hätten Blech und Tuch alleine doch nicht gereicht. Vielleicht könnte jemand in Frankreich mal die Details zur erwähnten „Finanzierung“ des Deals durch die französische Seite befreien. Wahrscheinlich fände ich beruhigend, was dabei herauskommt. Und wenn sich wer schon die Mühe macht: Einblicke in die Diplomatie rund um das ähnliche Düfte verströmende U-Bahn-Projekt in Belgrad (LMD 8/2022, „Eine Metro für Belgrad“; ist leider noch nicht offen online) wären bestimmt auch interessant.

[1]Um mal den übelriechenden Gegensatz Max Webers zu „Verantwortungsethik“ (a.k.a. Schurkigkeit) aufzunehmen.

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