Hatte ich mich gestern noch lustig gemacht darüber, dass Personalien derzeit in den Nachrichten vor heißen Corona-Stories laufen, lese ich heute von einer, die ich doch weit vorn in eine Nachrichtensendung gesetzt hätte: Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird Yasmin Fahimi neue Vorsitzende des DGB.
Nun ist es (nicht nur) in Gewerkschaften ganz normal, dass sich mit jeder Hierarchiebene die zahmen, karriereorientierten, konservativen Personen anreichern[1]. Die Causa Fahimi ist jedoch so extrem, dass die taz zu loben ist für die Platzierung von Anja Krügers treffendem Kommentar auf der ersten Seite der taz vom Donnerstag. Auch ich als mäßig aktives GEW-Mitglied kann diese Geschichte allenfalls mit einer guten Lupe von einer schleichenden Selbstentleibung des DGB zu unterscheiden.
Dass die IG BCE, innerhalb des DGB an reaktionärer Gesinnung nur noch von der Gewerkschaft der Polizei überboten, jetzt nochmal den DGB-Vorsitz übernimmt, und dann noch mit einer rechten SPDlerin, das ist ein offener Affront gegen alle, die in den Gewerkschaften eine Wiederholung der Katastrophe von 2002 verhindern wollen. Damals hielten die DGB-Gewerkschaften weitgehend ruhig, als Rot-Grün einen auch im Rückblick atemberaubenden Abbau von sozialen Rechten und Möglichkeiten betrieb, mit absehbaren Folgen für die Motivation der Mitgliedschaft wie auch die politische Orientierung von Menschen, die eigentlich gewerkschaftlich organisiert sein müssten und jetzt stattdessen AfD wählen (ich habe dafür immer noch keine bessere Umschreibung gefunden als „Turkeys voting for Christmas“).
Ein vergleichbarer Angriff auf soziale Rechte wird vermutlich auch von der gegenwärtigen Regierung kommen. Dochdoch, es gibt schon noch einiges zu demontieren in den Überresten des Sozialstaats. Wenn der DGB im Kampf gegen diese Demontagen mit dem Gesicht einer SPD-Jasagerin dasteht, ist das der Königsweg. In die Irrelevanz.
Und das ist auch dann keine gute Nachricht für die Einzelgewerkschaften, wenn in denen bereits jetzt meist nur Augenrollen kommt, wenn wieder Leute für irgendwelche DGB-Gremien gesucht werden. So hatte sich Joe Hill die O.B.U. nicht vorgestellt.
[1] | Vgl. auch Schurken und Engel. Entgegen dem dort simulierten Konkurrenzprinzip kann ich im Gewerkschaftsfall aber aus erster Hand berichten, dass die Reproduktion des Schurkigkeitsgradienten im Wesentlichen durch eine Art Kooptation passiert, bei der jeweils in der höheren Ebene arbeitende FunktionärInnen sich ihren Nachwuchs sorgfältig und listenreich aus den niedrigeren Ebenen handverlesen und dabei Menschen präferieren, deren Politikverständnis nicht zu weit von dem ihren abliegt. Diese Personen dann auch durchzusetzen ist einfach, weil verständlicherweise kaum mehr jemand Lust hat auf Gewerkschaftsarbeit, also alle froh sind, wenn sich überhaupt irgendwer findet. |