In den DLF-Wissenschaftsmeldungen vom 15. Februar ging es ab Sekunde 50 um römische Archäologie mit Bandwürmern. Ich gestehe ja einen gewissen Römerfimmel ein, und ich fand zudem die Passage
In römerzeitlichen Fundstätten auf Sizilien wurden mehrfach konische Tongefäße ausgegraben. Bisherigen Interpretationen zufolge wurden darin Lebensmittel gelagert.
vielversprechend im Hinblick auf mein Projekt interessanter Selbstkorrekturen von Wissenschaft, denn die neuen Erkenntnisse zeigen recht deutlich, dass zumindest eines dieser Gefäße in Wahrheit als Nachttopf genutzt wurde. Und deshalb habe ich mir die Arbeit besorgt, auf der die Kurzmeldung basiert.
Es handelt sich dabei um „Using parasite analysis to identify ancient chamber pots: An example of the fifth century CE from Gerace, Sicily, Italy“ der Archäologin Sophie Rabinow (Cambridge, UK) und ihrer KollegInnen (DOI 10.1016/j.jasrep.2022.103349), erschienen leider im Elsevier-Journal of Archeological Science. Ich linke nicht gerne auf die, zumal der Artikel auch nicht open access ist, aber leider gibts das Paper derzeit nicht bei der Libgen.
Publikationsethische Erwägungen beiseite: Diese Leute haben einen der erwähnten „konischen Tongefäße” aus einer spätrömischen Ruine im sizilianischen Enna hergenommen und den „sehr harten, weißlichen Rückstand von schuppigem Kalk“ („very hard whitish lime-scale deposit“) am Boden des Gefäßes untersucht. Vor allem anderen: Ich hätte wirklich nicht damit gerechnet, dass, was in einem lange genutzten Nachttopf zurückbleibt, schließlich diese Konsistenz bekommt.
Nie wieder Sandalenfilme ohne Wurmgedanken
Aber so ist es wohl, denn nachdem die Leute das Zeug in Salzsäure aufgelöst und gereinigt hatten, waren durch schlichte Lichtmikroskopie (mein Kompliment an die AutorInnen, dass sie der Versuchung widerstanden haben, coole und drittmittelträchtige DNA-Analysen zu machen) haufenweise Eier von Peitschenwürmern zu sehen – und das halte auch ich für ein starkes Zeichen, dass reichlich menschlicher Kot in diesem Pott gewesen sein dürfte. Auch wenn, wie die AutorInnen einräumen, keine Kontrollprobe der umgebenden Erde zur Verfügung stand, ist es nicht plausibel, wie Eier in dieser Menge durch nachträgliche Kontamination in den „harten, weißen Rückstand“ kommen sollten.
Römer hatten – das war schon vor dieser Arbeit klar – nicht zu knapp Würmer. Alles andere wäre trotz der relativ ordentlichen Kanalisation in größeren römischen Siedlungen höchst erstaunlich, da auch in unserer modernen Welt die (arme) Hälfte der Menschheit Würmer hat (vgl. z.B. Stepek et al 2006, DOI 10.1111/j.1365-2613.2006.00495.x). Dennoch guckt sich so ein zünftiger Sandalenfilm (sagen wir, der immer noch hinreißende Ben Hur) ganz anders an, wenn mensch sich klar macht, dass die feschen Soldaten und fetten Senatoren alle des öfteren mal Würmer hatten. Und auch Caesars Gallischer Krieg oder Mark Aurels Selbstbetrachtungen erhalten, finde ich, eine zusätzliche Tiefe, wenn mensch sich vorstellt, dass in den Gedärmen jener, die da Kriegspropaganda oder stoische Philosophie betrieben, parasitische Würmer mitaßen.
Forschungsprojekt: Wurmbefall in Köln vor und nach 260
Nun schätzen Rabinow et al allerdings, dass ihre Rückstände wohl in der Mitte des fünften Jahrhunderts entstanden. Damals hatte die römische Zivilisation und damit auch ihre Kanalisation wahrscheinlich auch in Sizilien schon etwas gelitten. Die Kölner Eifelwasserleitung etwa – die eingestandenermaßen technisch besonders anspruchsvoll war und in einem besonders unruhigen Teil des Imperiums lag – haben „Germanen“ schon im Jahr 260 zerstört, und sie wurde danach nicht mehr in Betrieb genommen, obwohl Köln bis weit ins 5. Jahrhundert hinein eine römische Verwaltung hatte.
Ich persönlich wäre überzeugt, dass, wer mit der Rabinow-Methode an entsprechend datierbare Überreste heranginge, mit dem Jahr 260 eine sprunghafte Erhöhung der Verwurmung in Köln feststellen würde. Insofern: Vielleicht hatten Caesar und Mark Aurel, zu deren Zeiten der römlische Wasserbau noch blühte, ja doch nicht viel mehr Würmer als wir im kanalisierten Westen?
Ach so: Das mit dem Irrtum – „nee, die Teile hatten sie für Essen“ – war so wild in Wirklichkeit nicht. Wie üblich in der Wissenschaft waren die Antworten auch vorher nicht so klar. Rabinow et al schreiben:
A recent study of material at the town of Viminacium in Serbia, where over 350 identically deep-shaped vessels are known, was able to confirm at least 3 potential uses: storage for cereals or water, burial urns, and chamber pots […]. Chamber pots clearly were also sometimes put to secondary use, for example as a container for builder’s lime […], while vessels initially destined for other purposes may have been turned into chamber pots.
Nun, dann und wann kommen sogar Wissenschaft und „gesunder“ Menschenverstand zu recht vergleichbaren Ergebnissen.
Zitiert in: Seuchen, Christen und das Ende des Imperiums