In der Nachricht über den Tod der ehemaligen US-Außenministerin Albright am DLF heißt es, Joe Biden habe sie gewürdigt als „Vorkämpferin für Demokratie und Menschenrechte“. Das ist auf den ersten Blick bemerkenswert, weil sich doch noch viele Menschen an Albrights Interview im US-Politmagazin 60 Minutes aus dem Jahr 1996 erinnern, in dem der Interviewer fragte:
Wir haben gehört, dass eine halbe Million [irakische] Kinder [infolge der westlichen Sanktionen] gestorben sind. Sehen sie, das sind mehr Kinder als in Hiroshima gestorben sind. Und, na ja, war es diesen Preis wert?
In einem klassischen Fall von Klarsprache hat Albright geantwortet:
Ich denke, das war eine sehr schwere Entscheidung. Aber wir glauben, dass es den Preis wert ist.
(Übersetzung ich; Original z.B. bei der newsweek). In meiner Zeit in den USA – Albright war damals „meine“ Außenministerin –, war dieses „the price is worth it“ ein geflügeltes Wort, um bei Demonstrationen und Mahnwachen wie der oben im Bild die mörderische, zynische und verlogene Realpolitik zu kommentieren und Zweifel zu äußern, wenn Kriege mit „aber die Menschenrechte“ (Kosovo, Albright und Bundeswehr dabei) oder „wir verteidigen uns“ (Irak, Bundeswehr noch nicht und Albright nicht mehr dabei) rechtfertigt wurden.
Im Rückblick würde ich die Bestürzung über das „it was worth it“ gerne relativieren. Albright war wahrscheinlich nach Maßstäben ihrer Zunft wirklich relativ deutlich orientiert auf Menschenrechte und Demokratie, denn sonst hätte sie diese Antwort vermutlich nicht gegeben und stattdessen dem Industriestandard folgend in eine andere Richtung losgeschwafelt[1]. Insofern verdient sie Anerkennung dafür, die Maßstäbe der Zunft der äußeren Sicherheit klar zu benennen, denn die erlauben nun mal, zur Durchsetzung von „nationalen“ Interessen massenhaft Menschen zu töten. Das einzugestehen ist, so glaube ich heute, ethisch gegenüber dem sonst üblichen Fast Talk deutlich zu bevorzugen.
Albrights Klarsprache mahnt uns, dass auch Saktionen fürchterliche Folgen haben können und wir daher gute Gründe für sie einfordern sollen („nationale Interessen“ sollten für nette Menschen nicht in die Kategorie „gut“ gehören), und dass „unsere“ Regierungen ebenso bereit sind, für ihre Interessen zu töten wie alle anderen auch.
Deshalb, um kurz in die Gegenwart zu schalten, muss der Schluss aus dem Ukrainekrieg eben radikale Abrüstung sein und jedenfalls nicht mehr Gewaltmittel für Menschen, die sich gegentlich „schwere Entscheidungen“ abringen, die Tote im Millionenmaßstab – es starben ja in den 90ern auch nicht nur die Kinder im Irak, ganz zu schweigen von der Hinführung auf den dritten Golfkrieg, an dem im Irak immer noch viele Menschen sterben – nach sich ziehen.
[1] | Damit sind Dinge gemeint wie „das sagen die Russen“, „Handelswege sichern“, „Verlässlichkeit im Bündnis“ oder viele ähnliche Platitüden, die längst auswendig kann, wer regelmäßig die Interviews in den DLF-Informationen am Morgen hört. |
Zitiert in: Hart durchgreifen gegen Aggressoren?