Wundern über Schurken

Vor einer guten Woche habe ich inspiriert von dem, was inzwischen „Masken-Affäre“ heißt[1] gezeigt, wie eine ganz einfache Theorie sehr natürlich erklärt, warum die mittlere Schurkigkeit mit der Hierarchiestufe recht rapide steigt. Für mich eher unerwartet ist diese Masken-Affäre übers Wochenende richtig explodiert, bis hin zum puren Rock'n'Roll, dass Abgeordnete – und dann noch welche von CDU und CSU – wegen Selbstbedienung aus der Fraktion fliegen.

Noch verdrehter fand ich allerdings heute morgen die Presseschau im Deutschlandfunk:

  • „untergräbt in schwerer Zeit das Vertrauen in die politisch Verantwortlichen” (Südkurier),
  • „trifft das pandemiemüde Land wie ein Donnerschlag” (Neue Osnabrücker Zeitung),
  • „kein kleiner Fehltritt“ (Badische Neueste Nachrichten),
  • „eine moralische Bankrotterklärung“ (Rheinische Post).

Dieser Chor von Überraschung und Empörung ist deshalb zumindest bizarr, weil alle diese Medien normalerweise feiern, wenn sich „Fleiß und Einfallsreichtum aufs private Fortkommen richten“, wie die Hessische Niedersächsische Allgemeine zum gleichen Thema so schön formuliert – und sich mit dieser zutreffenden Beschreibung des Verhaltens von Nüßlein und Löbel zumindest mal den Preis für den am wenigsten verdrehten Kommentar an diesem Morgen verdient hat.

Tatsächlich ist Vertreter_innen entsprechender Ideen zumeist mit etwas Mühe die Konzession abzuringen, natürlich sei eine Wirtschaft zu bevorzugen, die in einem gesellschaftlichen Prozess plant, welcher Kram produziert werden soll und wie das mit möglichst wenig Belastung für Mensch („Arbeit“) und Natur hinzukriegen sei. Aber, so ist dann das finale und kaum widerlegbare Argument, das sei nicht zu machen, weil der Mensch schlecht sei und egoistisch und drum, wenn die Wirtschaft nicht auf die Bedürfnisse von ehrgeizigen Schurken ausgerichtet sind, der Hungertod droht.

Demgegenüber wandele ein moderat regulierter Kapitalismus die Niederträchtigkeit der Einzelnen in den größtmöglichen Nutzen des Staates und in der Folge der Gesellschaft – was unter der Bedingung, dass die Leute, von Mutter Theresa mal abgesehen, durchweg Gesindel sind, oberflächlich plausibel klingt[2].

Und nun sind genau die Leute, die bei jeder Gelegenheit die Alternativlosigkeit von Markt und Wettbewerb für die Volkswirtschaft aus der Schurkigkeit des Menschen an sich ableiten, empört, weil ihre Vertreter_innen, und zumal die mit dem eklatantesten der-Mensch-ist-schlecht-Programm, bescheißen, so gut sie können. Hm.

Es war schon lange meine Vermutung, dass die Fähigkeit, rechtzeitig mit den Ableitungen aus den eigenen Ideen aufzuhören, ganz entscheidend ist für die Erhaltung einer, nun ja, konservativen Gesinnung.

[1]Montag 19:45 gibt es erstaunlicherweise noch keine Wikipedia-Seite „Masken-Affäre“, aber der Relevanzkriterien-Widerstand in der Sache dürfte innerhalb von Stunden bröckeln.
[2]Jedenfalls solange, bis mensch sich klar macht, dass wir derzeit Jahr um Jahr fossile Kohlenwasserstoffe verbrauchen, die sich innerhalb von einigen 100000 Jahren gebildet haben (sprich: wir durch diese Ressourcen gehen, als hätten wir einige 105 Erden) und trotzdem noch Jahr um Jahr Milliionen von Menschen an Armut sterben.

Zitiert in: Wie aus dem 18. Jahrhundert

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