Tag Tiere

  • Unübersehbare Konsequenzen

    Als ich gestern endlich mal die autoritäre Versuchung in einiger Breite diskutiert habe, war eines der Argumente gegen die bequeme Lösung von Konflikten mit Zwang und Gewalt, dass diese Lösungen zwar manchmal den erwünschten Effekt haben, aber in der Regel auch ziemlich haarsträubende Nebenwirkungen.

    Blätter und Stängel

    Hydrilla-Pflanzen in einem Foto vom US Geological Survey.

    Dazu ist mir heute in einem Beitrag zu Forschung aktuell vom 26. März ein relativ exotisches Beispiel untergekommen, allerdings ziemlich weit ab von den sozialen Konflikten, über die ich gestern vor allem geschrieben habe. Es ging in der Sendung um ein aktuelles Science-Paper von Steffen Breinlinger, Tabitha Phillips und KollegInnen (DOI 10.1126/science.aax9050). Die Leute haben untersucht, warum ab Mitte der 1990er in bestimmten Gebieten der südlichen USA eine deutliche Übersterblichkeit von Weißkopf-Seeadlern und, bei näherem Hinsehen, entlang ganzer Nahrungsketten in und über Süßwasserseen auftrat.

    Zunächst war schon vor der Arbeit eine Korrelation der toten Vögel mit der Besiedlung von Seen durch Hydrilla (eine dort vom Menschen vor relativ kurzer Zeit aus der alten Welt eingeführte Wasserpflanze) aufgefallen, genauer durch Hydrilla und ein Cyanobakterium, das auf dieser haust. Das Weitere hatte etwas von einer Sherlock Holmes-Geschichte, denn Nachzucht und Verfütterung des Cyanobakteriums waren ein Haufen Arbeit – und führten zu nichts: Tiere, die den Hydrilla-Cyanobakterien-Cocktail verzehrten, fühlten sich prima.

    Erst mit echtem Pamp aus den todbringenden Seen erkannten die WissenschaftlerInnen, dass das Problem nicht das Cyanobakterium an sich war, sondern im Wesentlichen die Fähigkeit von Hydrilla, Brom anzureichern; erst mit wenigstens etwas Kaliumbromid im Wasser und Hydrilla zur Bromid-Anreicherung wurden die Cyanobaktierien giftig.

    Damit stellt sich die Frage, woher die Bromide in der freien Natur kommen. Und da kommen wir zu den autoritären Lösungen. Hydrilla ist invasiv, breitet sich also ziemlich stark aus, seit jemand mal sein Aquarium in einen See gekippt und die Pflanze so in die Gewässer der südlichen USA gebracht hat. Um der Ausbreitung Herr zu werden, wurde wohl teils auf Herbizide zurückgegriffen, die bromierte Kohlenwasserstoffe enthielten.

    Tja: Da hat wohl wer einer autoritären Versuchung nachgegeben und die einfache Lösung gesucht durch, na ja, das nächste Aquivalent zu Gewalt an Pflanzen. Vermutlich hat das nicht mal besonders gut gegen Hydrilla geholfen – es muss ja noch genug davon gegeben haben, dass Tiere durch Abweiden (bzw. Fressen der Abweidenden) das Cyanobakterien-Gift anreichen konnten. Aber plausiblerweise hat das Herbizid, die „Lösung“, am Schluss die Seeadler (und Eulen und Milane) umgebracht.

    Der Fairness halber: Vielleicht wars auch gar nichts in der Richtung. Brom könnte auch aus weggeworfenem Kram mit Flammschutzmitteln (das waren traditionell halogenierte Kohlenwasserstoffe) oder aus der Reinigung von Abgasen der Kohleverstromung kommen. Und klar, es gibt auch natürliche Vorkommen von Bromverbindungen. So ist das halt mit Wissenschaft: Richtig eindeutige Antworten brauchen lange Zeit.

  • Tintenfische und der Erfolg im Leben

    Ein Oktopus im Porträt

    Gut: Es ist keine Sepie. Aber dieser Oktopus ist bestimmt noch viel schlauer.

    Mal wieder gab es in Forschung aktuell ein Verhaltensexperiment, das mich interessiert hat. Anders als neulich mit den Weißbüschelaffen sind dieses Mal glücklicherweise keine Primaten im Spiel, sondern Tintenfische, genauer Sepien – die mir aber auch nahegehen, schon, weil das „leerer Tab“-Bild in meinem Browser eine ausgesprochen putzige Sepie ist. Den Beitrag, der mich drauf gebraucht hat, gibt es nur als Audio (1:48 bis 2:28; Fluch auf die Zeitungsverleger), aber dafür ist die Original-Publikation von Alexandra Schnell et al (DOI 10.1098/rspb.2020.3161) offen.

    Grober Hintergrund ist der Marshmallow-Test. Bemerkenswerterweise zitiert der Wikipedia-Artikel bereits die Sepien-Publikation, nicht jedoch kritischere Studien wie etwa die auf den ersten Blick ganz gut gemachte von Watts et al (2018) (DOI: 10.1177/0956797618761661). Schon dessen Abstract nimmt etwas die Luft aus dem reaktionären Narrativ der undisziplinierten Unterschichten, die selbst an ihrem Elend Schuld sind:

    an additional minute waited at age 4 predicted a gain of approximately one tenth of a standard deviation in achievement at age 15. But this bivariate correlation was only half the size of those reported in the original studies and was reduced by two thirds in the presence of controls for family background, early cognitive ability, and the home environment. Most of the variation in adolescent achievement came from being able to wait at least 20 s. Associations between delay time and measures of behavioral outcomes at age 15 were much smaller and rarely statistically significant.

    Aber klar: „achievement“ in Zahlen fassen, aus denen mensch eine Standardabweichung ableiten kann, ist für Metrikskeptiker wie mich auch dann haarig, wenn mich die Ergebnisse nicht überraschen. Insofern würde ich die Watts-Studie jetzt auch nicht überwerten. Dennoch fühle ich mich angesichts der anderen, wahrscheinlich eher noch schwächeren, zitierten Quellen eigentlich schon aufgerufen, die Wikipedia an dieser Stelle etwas zu verbessern.

    Egal, die Tintenfische: Alexandra Schnell hat mit ein paar Kolleg_innen in Cambridge also festgestellt, dass Tintenfische bis zu zwei Minuten eine Beute ignorieren können, wenn sie damit rechnen, später etwas zu kriegen, das sie lieber haben – und wie üblich bei der Sorte Experimente ist der interessanteste Teil, wie sie es angestellt haben, die Tiere zu irgendeinem Handeln in ihrem Sinn zu bewegen.

    Süß ist erstmal, dass ihre ProbandInnen sechs Tintenfisch-Jugendliche im Alter von neun Monaten waren. Die haben sie vor einen Mechanismus (ebenfalls süß: Die Autor_innen finden den Umstand, dass sie den 3D-gedruckt haben, erwähnenswert genug für ihr Paper) mit zwei durchsichtigen Türen gesetzt, hinter denen die Sepien jeweils ihre Lieblingsspeise und eine Nicht-so-Lieblingsspeise (in beiden Fällen irgendwelche ziemlich ekligen Krebstiere) sehen konnten. Durch irgendwelche Sepien-erkennbaren Symbole wussten die Tiere, wie lange sie würden warten müssen, bis sie zur Leibspeise kommen würden, zum langweiligen Essen konnten sie gleich, und sie wussten auch, dass sie nur einen von beiden Ködern würden essen können; dazu gabs ein recht durchdachtes Trainingsprotokoll.

    Na ja, in Wirklichkeit wars schon etwas komplizierter mit dem Training, und ahnt mensch schon, dass nicht immer alles optimal lief:

    Preliminary trials in the control condition showed that Asian shore crabs were not a sufficiently tempting immediate reward as latencies to approach the crab, which was baited in the immediate-release chamber, were excessive (greater than 3 min) and some subjects refused to eat the crab altogether.

    Ich kann mir richtig vorstellen, wie die Gruppe vor dem Aquarium stand und fluchte, weil die doofen Viecher ihre Köder nicht schlucken wollten: „Wie zum Henker schreiben wir das nachher ins Paper?“ – um so mehr, als alle Sepien konsequent die gleichen Präferenzen hatten (was ich ja auch schon für ein bemerkenswertes Resultat halte, das bei n=6 und drei Auswahlmöglichkeiten kaum durch Zufall zu erklären ist – vielleicht aber natürlich durch das, was die Sepien sonst so essen).

    Und dann wieder Dinge in der Abteilung „was alles schiefgehen kann, wenn mensch mit Tieren arbeitet“:

    Subjects received one session of 6 trials per day at a specific delay. This number of trials was chosen to minimize satiety and its effects on eating behaviour.

    Schon die Abbildung 2 des Artikels finde ich wirklich erstaunlich: Alle Sepien bekommen es hin, 30 Sekunden auf ihre Lieblingsspeise zu warten – wow. Ok, kann natürlich sein, dass sie so lange brauchen, um sich zu orientieren, aber Schnell und Co scheinen mir schon viel getan zu haben, um das unwahrscheinlich zu machen.

    Was jedenfalls rauskommen sollte, war eine Korrelation der Wartezeit mit, na ja, der „Intelligenz“ (ich halte mich raus bei der genaueren Bestimmung, was das wohl sei), und um die zu messen, mussten die Sepien in ihren Aquarien zunächst lernen, das „richtige“ unter einem dunklen und einem hellen Stück Plastik aussuchen. Anschließend, das war der Intelligenztest, mussten sie mitbekommen, wenn die Versuchsleitung die Definition von „richtig“ verändert hat. Dazu haben sie laut Artikel im Mittel 46 Versuche gebraucht – gegenüber 27 Versuchen beim ersten Lernen. Nicht selbstverständlich auch: Sepien, die beim ersten Lernen schneller waren, waren auch schneller beim Begreifen der Regeländerung. Da ist Abbildung 3 schon ziemlich eindrücklich: einer der Tintenfische hat das Umkehrlernen in gut 20 Schritten bewältigt, ein anderer hat fast 70 Schritte gebraucht. Uiuiui – entweder haben die ziemlich schwankende Tagesform, oder die Gerissenheit von Sepien variiert ganz dramatisch zwischen Individuen.

    Die erwartete Korrelation kam selbstverständlich auch raus (Abbildung 4), und zwar in einer Klarheit, die mich schon etwas erschreckt angesichts der vielen Dinge, die beim Arbeiten mit Tieren schief gehen können; der Bayes-Faktor, den sie im Absatz drüber angeben („es ist 8.83-mal wahrscheinlicher, dass Intelligenz und Wartenkönnen korreliert sind als das Gegenteil“) ist bei diesem Bild ganz offensichtlich nur wegen der kleinen Zahl der ProbandInnen nicht gigantisch groß. Hm.

    Schön fand ich noch eine eher anekdotische Beobachtung:

    [Andere Tiere] have been shown to employ behavioural strategies such as looking away, closing their eyes or distracting themselves with other objects while waiting for a better reward. Interestingly, in our study, cuttlefish were observed turning their body away from the immediately available prey item, as if to distract themselves when they needed to delay immediate gratification.

    Ich bin vielleicht nach der Lektüre des Artikels nicht viel überzeugter von den verschiedenen Erzählungen rund um den Marshmallow-Test.

    Aber ich will auch mit Sepien spielen dürfen.

  • Solidarität ist... charmant

    Ein Weißbüschelaffe

    Sucht nach netten Genoss_innen: ein Weißbüschelaffe – Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

    An sich halte ich ja Soziobiologie für irgendwas zwischen Mumpitz und reaktionärer Zumutung, jedenfalls soweit sie verstanden wird als Versuch, menschliches Verhalten oder gar gesellschaftliche Verhältnisse durch biologische Befunde (oder das, was die jeweiligen Autor_innen dafür halten) zu erklären und in der Folge zu rechtfertigen.

    Hier ist aber eine Geschichte (DOI 10.1126/sciadv.abc8790), die so putzig ist, dass ich mir in der Beziehung etwas mehr Toleranz von mir wünschen würde. Und zwar hat eine Gruppe von Anthropolog_innen um Rahel Brügger aus Zürich das Kommunikationsverhalten von Weißbüschelaffen untersucht (Disclaimer: Nee, ich finde eigentlich nicht, dass mensch Affen in Gefangenschaft halten darf, aber in diesem Fall scheint zumindest das expermimentelle Protokoll halbwegs vertretbar).

    Dabei haben sie zunächst zwei Dialoge zwischen (den Proband_innen unbekannten) Affen aufgenommen: Ein Affenkind hat einen erwachsenen Affen um Futter angebettelt. Im einen Fall hat der erwachsene Affe abgelehnt, im anderen Fall wohl etwas wie „schon recht“ gemurmelt.

    Dann haben sie die Aufnahmen anderen Affen vorgespielt und haben dann geschaut, ob diese lieber weggehen oder lieber nachsehen, wer da geplaudert hat. Und siehe da: Die Tiere wollten viel lieber die netten Affen sehen als die doofen. Bei den netten Affen haben nach gut 10 Sekunden schon die Hälfte der Proband_innen nachgesehen, wer das wohl war, bei den doofen war das mehr so 30 Sekunden. Und bis zum Ende der jeweiligen Versuche nach zwei Minuten wollten immerhin ein Viertel der Proband_innen nichts von den doofen Affen sehen, aben nur ein Zehntel nichts von den netten.

    Moral: Seid nett, und die Leute mögen euch.

    Ja, ok, kann sein, dass die Äffchen nur gehofft haben, dass sie auch Essen kriegen, wenn schon das Kind was bekommen hat. Pfft. Ich sag ja, Soziobiologie stinkt.

    Nachbemerkung 1: Ich habe das auch nicht gleich in Science Advances gefunden (da gäbs andere Journals, die ich im Auge haben sollte), sondern in den Meldungen vom 4.2. des sehr empfehlenswerten Forschung aktuell im Deutschlandfunk.

    Nachbemerkung 2: Ich weiß, Literatur soll mensch nicht erklären, aber die Überschrift ist natürlich ein Einwand gegen einen der Wahlsprüche der Roten Hilfe: „Solidarität ist eine Waffe“. So klasse ich die Rote Hilfe finde, der entschlossene Pazifist in mir hat die Parole nie so recht gemocht. Mensch will ja eigentlich weniger Waffen haben, aber ganz bestimmt mehr Solidarität.

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