Im Dezember letzten Jahres lief in der DLF-Sendung Forschung aktuell zur Begleitung der Weltnaturschutzkonferenz in Montreal eine großartige Miniserie mit Geräuschen von Tieren, deren Arten demnächst ziemlich wahrscheinlich aussterben werden. Ihr ebenfalls großartiger Titel: „Letzte Rufe“. Soweit ich sehe, haben die Deutschlandfunk-Leute keine eigene Seite für die Miniserie. Lasst mich geschwind einspringen:
- Kalifornische Schweinswale
- Takahe
- Rio-Tinto-Riesenkugler – der Name ist übrigens ein sozialer Hack (oder der Versuch eines solchen): der britisch-australische Bergbaukonzern Rio Tinto rottet diese Tiere gerade aus, und die BenennerInnen haben gehofft, dass er das lässt, wenn sie seinen Namen tragen
- Gangesgavial
- Ameisenbläuling
- Wilsons Langfingrige Fledermaus
Ich finde, das ist ein sehr audiophiles Format. Und ich habe in jeder Folge etwas gelernt.
Nur… nun, nennt mich einen Naturromantiker, aber speziell beim Ameisenbläuling fällt mir allzu viel Empathie schwer, auch wenn ich weiß, dass Parasiten in den meisten Ökosystemen stark stabilisierende Funktionen haben. Es klingt einfach zu garstig, was die Viecher treiben.
Sie sind nämlich Myrmekophile. Ich habe das Wort auch erst eben gelernt. Es bezeichnet Organismen, die an Ameisen „gebunden“ (Wortwahl des/der Wikipedia-AutorIn) sind. Bei Ameisenbläulingen heißt das etwas weniger beschönigend gesprochen, dass sie sich von Ameisen in deren Bau tragen lassen – etwa, indem sie durch abscheuliches Krächzen vorgeben, sie seien Königinnenlarven – und sich dort von diesen füttern lassen beziehungsweise gleich die Eier und Larven der Ameisen aufessen. In den Worten des Wikipedia-Artikels zum Quendel-Ameisenbläuling:
Dennoch kommen viele Raupen [im Ameisennest] um, weil sie entweder in Gegenwart der Königin von den Arbeiterinnen angegriffen werden, oder weil sie das Ameisennest leer plündern und sich so selbst die Nahrungsgrundlage entziehen.
Beim Lungenenzian-Ameisenbläuling ist es deutlich harmloser:
Für die betroffenen Ameisenarten kann der Parasitenbefall zu einer Verkleinerung der Kolonie führen, da die bevorzugte Fütterung der Schmetterlingslarven den eigenen Nachwuchs gefährdet.
Aber immerhin sind diese speziellen Falter relativ wenig manipulativ:
Nach dem Schlüpfen bleibt den Faltern nicht viel Zeit für die Flucht, denn sie besitzen keine Duftstoffe, die sie vor den Ameisen schützen.
Zum Hellen Wiesenknopf-Ameisenbläuling weiß die Wikipedia zu berichten:
Etwa 98 % der Biomasse der Puppe (und des späteren Falters) stammt so von den Ressourcen des Ameisenvolkes. Es wurde geschätzt, dass bei den räuberisch lebenden Phengaris-Arten (P. teleius, P. arion und P. nausitous) etwa 350 Arbeiterinnen mittelbar nötig sind, um eine Phengaris-Larve zu ernähren. Diese Zahl wird benötigt, um die Nahrung für die Ameisenbrut zu beschaffen, die von den Phengaris-Larven gefressen wird.
Sagt, was ihr wollt: Als Sympathieträger gegen das Insektensterben würde ich mir eine andere Art aussuchen. Jedenfalls solange, bis auch Menschen wie ich deutlich mehr Instinkt entwickelt haben für Ökosysteme und die Rolle, die auch Tiere mit nach menschlichen Maßstäben nicht so feinen Manieren darin spielen. Bis dahin kann ich die spontane Reaktion einer Freundin gut nachvollziehen: „Die Biester sollen ruhig aussterben“.