Ich hatte gerade einer armen Seele zu helfen, die drei Bücher mit Microsoft Word für Windows geschrieben hat und dazu Word-Zentraldokumente verwendet hat, vor allem wohl, weil vor 20 Jahren – als diese Projekte starteten – Word nicht mit mehreren hundert Seiten auf einmal umgehen konnte. Unbenommen, dass mensch mit Office-Software keine richtige Arbeit machen sollte: da die arme Seele auf Linux migrierte, musste der ganze Kram auf Libreoffice. Für eine Migration auf vernünftige Technologien (TeX, ReStructuredText, Docbook oder was auch immer) reichten weder meine Geduld noch der Erlösungswille der armen Seele.
Erste Ernüchterung: Word-Zentraldokumente (wie auch Libreoffice-Globaldokumente) speichern ihre Pfade absolut: sie können also ohne Tricks nicht bewegt werden, insbesondere nicht von einem Windows-Dateisystem in ein Linux-Dateisystem. Wie so oft stellt sich die Frage, warum das mal ein wie ein gutes Design ausgesehen haben mag.
Nach einem kurzen Blick auf das Arbeiten mit Globaldokumenten habe ich beschlossen, dass Rechner jetzt wirklich groß genug sind, um 500-seitige Dokumente im Speicher zu halten und dass der ganze Zentral- und Globaldokumentenzauber mit den begleitenden Komplikationen nicht mehr sein muss.
Nur: Wie kopiert mensch 20, 30 solche Dateien zusammen? Was ich dazu in der verbleibenden Libreoffice-Doku (das Wiki, das das jetzt sein soll, überzeugt mich übrigens nicht) und dem weiteren Netz gefunden habe, fand ich eher… unbefriedigend – Erinnerungen an Windows-Foren („um den Sound-Treiber zu reparieren, musst du den CD-Treiber deinstallieren. Hat bei mir funktioniert“) werden da dann und wann schon wach. Deshalb dachte ich mir, es könnte nützlich sein, wenn ich auch ein paar Rezepte beitrage, auch wenn ich – Disclaimer – selbst keine Office-Software verwende und in dem Sinn selbst höchstens einäugig bin.
Wie machte ich aus einem Satz von ODTs oder DOCs ein einziges ODT?
Ein Verzeichnis anlegen und alle Filialdateien reinkopieren.
Die Dateien so benennen, dass eine einfache Sortierung sie in die richtige Reihenfolge bringt (ich habe einfach 000_, 001_ usf vor die Namen gesezt).
Libreoffice starten, Neu → Globaldokument.
F5 drücken, um in den Navigator zu kommen, dort aufs Einfügen-Icon klicken; das poppt eine Auwahlbox auf.
In dieser Auswahlbox in das Verzeichnis mit den Filialdateien gehen und diese in die Reihenfolge sortieren lassen, in der sie nachher im Dokument erscheinen sollen.
Alle Dateien im Verzeichnis auswählen, z.B. durch Control-A oder per Shift-Klick, dann den Import bestätigen.
Datei → Exportieren, dabei ODT als Zielformat auswählen; das ist der erste Schritt, um von der Einbettung im Globaldokument wegzukommen. Ich nenne diese Datei jetzt mal joined.odt.
Das so erzeugte ODT ist leider überall schreibgeschützt, und ich habe keinen Weg gefunden, diesen Schreibschutz per Klicken wegzuzaubern, bevor ich die Geduld mit Doku, Menüs und vor allem Foren verloren habe und mit epubedit beigegangen bin (vgl. unten). Mit dem kleinen Skript dort unten könnt ihr Folgendes in einer Shell laufen lassen:
epubedit joined.odt sed -ie 's/text:protected="[^"]*"//g' content.xml
(ihr könnt natürlich auch mit einem Editor oder gar mit dem hervorragenden xmlstarlet die ganzen text:protected-Attribute löschen)[1]. Geht dann aus der Shell vom epubedit wieder raus; das schreibt joined.odt neu.
Das neue joined.odt in libreoffice öffnen.
Bearbeiten → Verknüpfungen, wieder alle Auswählen (^A), und dann den Lösen-Knopf drücken.
Das Ergebnis dieser Prozedur ist ein zusammenhängendes „Dokument“ (wenn mensch keine großen Ansprüche an Dokumente hat).
Zumindest in meinem Fall fing damit die Arbeit allerdings erst an, weil jedes Filialdokument eigene und verrückte Absatzvorlagen hatte. Ich schreibe gleich, wie ich das aufgeräumt habe, aber zunächst müsen wir geschwind über das erwähnte epubedit reden.
epubedit
Was Open Document-Dateien tatsächlich etwas angenehmer im Umgang macht als einige andere Office-Dateien, die ich hier erwähnen könnte, ist, dass sie eigentlich nur zip-Archive sind, in denen von für sich nicht unvernünftigen Standards (z.B. XML und CSS) beschriebene Textdateien leben. Das hat mir beispielsweise den obigen Trick mit der Ersetzung der text:protected-Attribute erlaubt.
Diese Architektur haben sie mit Ebooks im epub-Format gemein, und um an denen geschwind mal kleine Korrekturen vorzunehmen, habe ich mir vor Jahren ein kleines Shell-Skript geschrieben:
#!/bin/bash if [ $# -ne 1 ]; then echo "Usage: $0 <epub> -- unpack an epub, open a shell, pack it again." exit 0 fi workdir=$(mktemp -d /tmp/workXXXXXX) cleanup() { rm -rf $workdir } trap cleanup EXIT if [ ! -f "$1".bak ]; then cp -a "$1" "$1".bak fi unzip "$1" -d $workdir (cd $workdir; bash) fullpath=$(pwd)/"$1" cd $workdir zip -r "$fullpath" *
Nehmt das und legt es als – sagen wir – epubedit irgendwo in euren Pfad und macht es ausführbar. Ihr könnt dann für irgendein epub oder odt epubedit datei.odt sagen und landet in einer Shell, die im Wurzelverzeichnis des jeweiligen ZIP-Archivs läuft. Dort könnt ihr nach Herzenslust editieren – bei ODTs ist der Inhalt in content.xml –, und wenn ihr fertig seid, beendet ihr die Shell und habt ein entsprechend verändertes ODT oder epub.
Weil dabei gerne mal was schief geht, legt das Skript ein Backup der Originaldatei an (es sei denn, es gäbe schon so ein Backup; die Erfahrung zeigt, dass mensch in der Regel lieber das ursprüngliche Backup behalten will…).
Stilfragen
Nun ist das vereinte Dokument zwar immerhin nur noch eine einzige Datei, die zudem – wow! – auch bewegt werden kann. Zumindest mit der Genese in meinem Fall, also den vielen Einzel-Word-Dateien, ist sie trotzdem kaum brauchbar, weil Word einige hundert Formatvorlagen erzeugt hat, meist mit so nützlichen Namen wie Formatvorlage_20_16_20_pt_20_Block_20_Erste_20_Zeile_3a__20__20_05_20_cm_20_Zchn oder Fußnotentext1_20_Zchn oder auch apple-converted-space. Dieses Problem ist schlimm, und ich habe schließlich eingesehen, dass es ohne ein kleines Programm und einige Handarbeit nicht lösbar ist.
Das Programm hat am Anfang nur Stilnamen aus dem Dokument rausgeprökelt und auf die Standardausgabe gelegt. Inzwischen ist das zu einer Basis für eine Abbildungsdatei geworden, und auch für die Abbildung als solche haben reguläre Ausdrücke noch gereicht. Wegen der Abhängigkeiten der Stile untereinander blieb jedoch immer noch jede Menge Mist in der Liste der verwendeten Stile zurück. Deshalb musste ich schließlich doch noch ordentliche XML-Verarbeitung anwerfen, um die styles.xml umzufummeln. Das Ergebnis ist das Programm defuse-libreoffice-style.py. Wenn ihr dieses Programm für die Dauer der Verarbeitung in euer Homeverzeichnis legt, würdet ihr die Stile wie folgt vereinheitlichen:
epubedit joined.odt; alles Weitere passiert in der Shell, die das öffnet.
python3 ~/defuse_libreoffice-style.py > ~/style-map.txt – wenn ihr das Skript nicht in eurem Home lagert, müsst ihr diesen Pfad anpassen. Und ich lege die Stil-Abbildung ins Home und nicht ins aktuelle Verzeichnis, damit die Abbildung (die recht viel Arbeit ist) nicht gleich verloren ist, wenn ihr die Shell verlasst. Ich jedenfalls habe besonders beim ersten Mal ein paar Anläufe gebraucht, bis das Mapping gut gepasst hat.
Editiert die Datei ~/style-map.txt mit einem Texteditor (also auf keinen Fall mit libreoffice selbst). Da drin stehen Zeilen wie:
Footnote_20_Symbol -> Footnote_20_Symbol
– in meinem Fall ungefähr 200 davon. Die Aufgabe ist jetzt, die rechten Seiten dieser Zeilen auf eine Handvoll Stile runterzubringen (Textkörper, Überschrift_1, Überschrift_2, Zitat, Fußnotenzeichen und Fußnote waren mein Minimum); die Zeile oben habe ich zum Beispiel zu:
Footnote_20_Symbol -> Fußnotenzeichen
gemacht. Es ist nicht immer einfach, herauszukriegen, was wohl eine Vorlage mal tun sollte; meist hat Word aber doch einen gewissen Hinweis darauf im Namen hinterlassen.
Wenn die Abbildung fertig ist, lasst das Python-Skript nochmal laufen; wenn es nämlich ein Argument bekommt, interpretiert es das als Abbildung und passt sowohl content.xml als auch style.xml entsprechend an:
python3 ~/defuse_libreoffice-style.py ~/style-map.txt
Um zu sehen, welche Stile noch übrig sind, könnt ihr das Skript ein weiteres Mal ohne Argumente laufen lassen; das gibt dann die noch vorhandenen Stile ins Terminal aus:
python3 ~/defuse_libreoffice-style.py
Wenn noch was dabei ist, das nicht übrig bleiben soll, könnt ihr style-map.txt anpassen und Schritt (4) nochmal laufen lassen (oder nochmal vom Backup des ODT anfangen).
Verlasst zum Abschluss die Shell vom epubedit und guckt im libreoffice nach, ob alles geklappt hat. Libreoffice erzählt wahrscheinlich, dass das Dokument beschädigt sei (aber nicht genauer, was eigentlich; hier rächt sich, dass ich die Open Document-Standards nicht gelesen und stattdessen einfach munter drauflosgehackt habe). Das, was es zur Reparatur unternimmt, hat aber bei mir immer gut funktioniert – insofern: Nur Mut.
Und für den Fall, dass jemand in den Python-Code reinguckt: Nein, auch wenn der StyleSanitiser immerhin ordentlich XML bearbeitet (im Gegensatz zu dem RE-Hacks von oben), ist das immer noch nicht Open Document-allgemein, denn ich habe die spezifische Wahl des text:-Präfix von Libreoffice darin hart kodiert, was sich für „richtige“ Software nicht gehören würde. Aber SAX mit richtigen Namespaces macht keinen Spaß, und ich rechne erstmal nicht damit, dass dieser Code je mit ODTs laufen wird, die nicht von Libreoffice kommen.
Und die Stichworte?
Die Bücher hatten auch je ein Stichwortverzeichnis. Bei einem Dokument hat das gut funktioniert, bei den anderen standen im Verzeichnis ein paar ordentliche Begriffe, ein paar Begriffe mit sinnlosen typografischen Anführungszeichen und ganz viele Einträge für das leere Wort. Ich habe keine Ahnung, wie es dazu kam.
Bei der Reparatur hilft erneut der Umstand, dass ODT im Kern ein nicht ganz unvernünftiges XML ist. Dabei sieht das Markup für ein Stichwort beispielsweise so aus:
Karl Valentin <text:alphabetical-index-mark text:string-value=" "/>
– das, was nachher im Stichwortverzeichnis steht, ist im string-value-Attribut, und das hat es hier, aus welchen Gründen auch immer, nicht aus dem DOC in das ODT geschafft (oder war es vielleicht schon auf Word-Seite kaputt?). Andererseits kann ich maschinell ein ganz gutes Default einsetzen, indem ich nämlich einfach das Wort vor dem alphabetical-index-mark-Element als Stichwort nehme. Das ist hier – wo der Term offensichtlich „Karl Valentin“ sein soll und nicht nur „Valentin“ – nicht ganz optimal, aber in jedem Fall besser als ein Leerzeichen.
Ein Programm, das das umsetzt, ist fill-in-index-terms.py. Auch das ist für den Einsatz zusammen mit epubedit gedacht. Solltet ihr also mal jede Menge leere Indexwörter in einem ODT haben (oder Leerzeichen als Indexwörter), müsste etwas in dieser Art eine wesentliche Verbesserung bringen:
epubedit broken-document.odt # in der epubedit-shell python3 /wo/auch/immer/das/skript/ist/fill-in-index-terms.py ^D
Wenn ihr den Index im Libreoffice neu machen lasst, sollten die leeren Indexbegriffe verschwunden sein.
[1] | Nur, damit sich niemand für groben Murks auf mich beruft: Mit regulären Ausdrücken auf XML-Dateien einprügeln ist in mehrfacher Hinsicht böse. So wird diese Prozedur z.B. Dokumententext löschen, wenn ihr diesen Post in ein ODT verwandelt (weil Matches von text:protected="[^"]*" im Text stehen), und sie wird versagen, wenn das Programm, das das ODT erzeugt hat, den XML-Namespace urn:oasis:names:tc:opendocument:xmlns:text:1.0 auf ein anderes Präfix mappt. Aber ganz ehrlich: Wer mit Office-Software Probleme zu lösen versucht, hat ganz andere Probleme. |