Vielleicht passe ich gerade nur etwas besser auf, aber mir kommen derzeit besonders viele Fundstücke zum Thema Postwachstum und der Frage der Arbeit unter – die beiden sind ja, so behaupte ich, eng verbunden. Wenn wir nämlich wirklich in eine Gesellschaft übergehen, die den Menschen materielle Sicherheit bei einer minimalen Belastung von Natur und Mensch gewährleistet (und anders wird das wohl nichts mit der „Nachhaltigkeit“, vgl. Meadows ff von neulich), würden wir beim heutigen Stand der Produktivität locker mit zehn Stunden pro Woche Lohnarbeit auskommen – oder halt das, was in so einer Gesellschaft statt Lohnarbeit stattfinden würde.
Ein Beispiel für das genaue Gegenteil dieser aus meiner Sicht positiven Utopie war im DLF-Kalenderblatt vom 6.8. zu hören. Es erinnerte an die Eröffnung des ersten deutschen Autobahn-Teilstücks durch den Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer. Fans von Volker Kutscher wissen das gleich zeitlich einzuordnen: Es war 1932. Die zentrale Nachricht des DLF-Beitrags sollte wohl sein, dass der postfaschistische Mythos von den Nazi-Autobahnen Quatsch ist. Für mich – da mir die Rubrizierung der Autobahnen als Nazimist eigentlich immer gut gepasst hat – viel eindrücklicher war aber die entspannte Selbstverständlichkeit, mit der der Potsdamer Historiker Ernst Piper in der Sendung die Aussage illustriert, der Autobahnbau sei eine „Maßnahme zur Bekämpfung der damaligen Massenarbeitslosigkeit“ gewesen.
Deswegen gab es zum Beispiel ja auch die Vorgabe – es galt auch für das kleine Stück, was Adenauer eingeweiht hat, das war dort genauso –, dass Maschinen nicht eingesetzt werden sollten. Es sollte alles, was irgend möglich war, mit Handarbeit erledigt werden, um möglichst viele Leute dort in Lohn und Brot zu bringen.
Ich finde es schlicht empörend, dass wir wegen der verrückten Religion von „wer nichts arbeitet, soll auch nichts essen“ Leute völlig sinnlos schinden. Mal abgesehen davon, dass netto die Menschheit wahrscheinlich besser dran wäre, wenn es keine Autobahnen gäbe und so die ganze Arbeit besser nicht gemacht worden wäre: Hätte, sagen wir, ein Zehntel der Leute mit ordentlichen Maschinen gearbeitet und die anderen, die da geschunden wurden, derweil vielleicht ein wenig gegärtelt und sich ansonsten ausgeruht, hätte es die Autobahn und wahrscheinlich sogar mehr Essen oder sonstwas Schönes oder Nützliches gegeben.
Die Schinderei hatte also auch dann überhaupt keinen Sinn, wenn die Autobahn als solche wertvoll gewesen wäre.
Dass dieser ziemlich ins Sadistische spielene Irrsinn noch nach 90 Jahren nicht zu einem Aufschrei der Empörung angesichts von solchen Mengen mutwilliger Zufügung von Leid führt, sagt, soweit es mich betrifft, viel darüber aus, wie viel Aufklärung noch zu besorgen ist gegen die Marktreligion und ihre Anhängsel.
Es mag etwas ironisch sein, dass ausgerechnet der Aberglaube im antiken Ägypten in diesem Punkt moderner, ehrlicher, aufgeklärter und nicht zuletzt pragmatischer wirkt. Gelernt habe ich das aber erst gestern, als ich im hessischen Landesmuseum in Darmstadt folgende Exponate sah:
Diese Tonfiguren sind Uschebtis. Zu deren Funktion erklärt die Wikipedia in Übereinstimmung mit den Angaben des Museums:
Wurde der Verstorbene nun im Jenseits zum Beispiel dazu aufgerufen, die Felder zu besäen oder die Kanäle mit Wasser zu füllen, so sollte der Uschebti antworten: „Hier bin ich.“ (6. Kapitel des Totenbuches). Damit der Uschebti die dem Toten aufgetragene Arbeit, insbesondere Feldarbeit, verrichten konnte, wurden ihm in älterer Zeit kleine Modelle der Geräte mitgegeben, die der Uschebti in den Händen hielt. In späterer Zeit wurden die Geräte auf die Figuren gemalt.
Ist das nicht großartig? Wie wenig ÄgypterInnen mit der modernen (und nein, Herr Weber, nicht nur protestantischen) Arbeitsmoral anfangen konnten, lässt sich an der Unmenge von Uschebtis ablesen, die wir noch nach 3000 Jahren finden. Die Museums-Leute haben erzählt, die Dinger seien im 19. Jahrhundert sehr populäre Mitbringsel von Ägypten-Urlauben gewesen, denn sie seien eigentlich überall zu finden gewesen.
Klar, außerhalb ökonomischer Diskussionen sind sich auch heute alle einig, dass Lohnarbeit stinkt – vgl. die „Endlich Freitag“-Spots der ARD –, aber kaum zwei Ecken weiter kommt doch wieder die fast nie öffentlich in Frage gestellte Gegenunterstellung, ein Leben ohne Lohnarbeit müsse traurig und sinnlos sein (wäre das so, würde das, wie schon Bertrand Russell bemerkt hat, ein sehr schlechtes Licht auf unser Bildungssystem werfen). Zumindest diesen Unfug hat es schon im ägyptischen Totenbuch nicht mehr gegeben.
Dass wir 4500 Jahre nach dessen ersten Anfängen wieder Mühe haben, diese Dinge klar zu kriegen, zeigt erneut, dass der Prozess der Zivilisation schwierig ist und es immer wieder Rückschläge gibt.
Übrigens will ich natürlich mitnichten zurück zu ägyptischen Praktiken. Abgesehen davon, dass die Herstellung der Uschebtis zweifellos in die Klasse der wirtschaftlichen Aktivitäten fällt, deren Einstellung die Welt besser gemacht hätte: Die Sitte, die zunächst so sympathisch wirkt (solange mensch nicht ans Totenreich oder jedenfalls die Leidensfähigkeit von Tonfiguren glaubt), hat sich im Laufe der Jahrhunderte in Weisen entwickelt, die an moderne Freihandelszeiten erinnert. Nochmal die Wikipedia:
Während es in der 18. Dynastie meist nur einzelne Exemplare waren, konnte die Anzahl in der Spätzeit weitaus höher sein. [...] Ab dem Ende der 18. Dynastie, vom Höhepunkt des Neuen Reiches bis zu den Ptolemäern, wurden sie durch Aufseherfiguren ergänzt [...] Der Aufseher hatte zu überwachen, dass der Uschebti die Arbeiten ordnungsgemäß durchführte. Er wurde dafür mit Stock und Peitsche ausgeführt.