Bologna: Die universell gescheiterte Verschwörung

Foto eines Plakats mit dem Claim: „Tschüss Notengrenze Hallo Master!  Bei den meisten Masterstudiengängen an der Hochschule Coburg gibt es keine Notengrenze mehr!”

Dieses Plakat ist mir am 2. April in Fürth aufgefallen, und es ist eine schöne Illustration der Tatsache, dass der Bologna-Prozess sogar für die Ministerien komplett in die Hose gegangen ist.

Meine längere Diatribe über Verschwörungstheorien neulich war inspiriert von dem Plakat auf dem Eingangsbild zu diesem Post, denn es illustriert eine von vielen Weisen, in denen der Bologna-Prozess – Arbeitsdefinition: ungefähre Verfünffachung der Prüfungslast an Hochschulen, mehr dazu gleich – krachend gescheitert ist. In diesem Scheitern ist er wiederum eine besonders schlagende Illustrationen für meine Behauptung gegen Ende des Verschwörungsposts: Verschwörungen – im Sinne von „verabredete Differenzen zwischen öffentlichen und privaten Äußerungen“ – sind zwar tatsächlich allgegenwärtig im politischen Prozess. Paranoid und unzutreffend ist aber die Annahme, diese Verschwörungen würden auch funktionieren, den Verschworenen also die Vorteile bringen, die sie sich erwartet haben.

Beim Bologna-Prozess und seinen Vorläufern war ich als kleines Rädchen live dabei und hatte sogar eine eigene kleine Seiten-Verschwörung am Laufen: Ich habe nämlich bei der Einführung eines der ersten Bachelor-Studiengänge an der Uni hier mitgewirkt und habe allerlei positive Äußerungen zu Bologna durch meine Mitverschworenen wider besseren Wissens nicht korrigiert. Weil: wir wollten Studis eine Gelegenheit geben, ohne Latinum einen Abschluss zu bekommen, was mit dem alten Magister aussichtslos, mit dem neuen Bachelor jedoch leicht schien. Zu meiner Verteidigung: Ich bin nie so tief gesunken, dass ich den Bologna-Quatsch selbst gelobt hätte.

Die große Bolognaverschwörung

Das, was später „Bologna-Prozess“ genannt wurde, muss irgendwann Anfang der 1990er in Gütersloh seinen Ausgangspunkt genommen haben. Eingestandenermaßen war ich da nicht dabei. Ich habe aber genug der sonstigen erzreaktionären („neoliberalen“) Diskurse, die damals in den Mainstream drängten, mitbekommen, um mit großer Zuversicht behaupten zu können, dass sich die in der ostwestfälischen Provinz residierenden Bertelsmann-Manager ungefähr zu dieser Zeit Geschichten dieser Art erzählten:

Der Bildungsmarkt ist tausend Milliarden Dollar im Jahr [inzwischen viel mehr] schwer. Als moderner Medien- und Dienstleistungskonzern müssen wir einen größeren Anteil davon erobern. Schulbücher sind lukrativ, aber guckt nach Harvard. 25'000 Dollar [inzwischen viel mehr] für ein paar Kurse und Gelegenheiten zum Netzwerken! Zwei Mal im Jahr! Das ist Geschäft![1]

Der sehnsüchtige Blick nach Harvard war damals eher noch üblicher als er es heute ist. Und so haben sich die Bertelsmänner ans Werk gemacht und überlegt, was es für die Eroberung des Bildungsmarktes wohl bräuchte. Ich paraphrasiere weiter:

Was die deutschen Universitäten machen, verhindert alle sinnvollen Business-Modelle: Erstmal verschenken sie den Kram, sogar ihre Abschlüsse und Zertifikate! Und dann macht jede ein bisschen andere Kurse mit jeweils ein bisschen anderen Kriterien. Dafür Produkte [dass dieses Wort auf Briefzustellung oder Investment-Glücksspiele oder Vorlesungen anwendbar wurde, ist auch der damaligen Zeit zu… na ja: verdanken] zu entwickeln, ist ökonomisch nicht darstellbar [na gut: das Geschwätz von „darstellbar“ ging glaube ich erst etwas später los].

Für Bertelsmanns künftiges Geschäft mit „Courseware“ war es also erstens wichtig, das „Produkt“ Studium kostenpflichtig zu machen, zweitens, das „Produkt“ Vorlesungsschein (heutzutage: ECTS-Punkte) zu standardisieren und zu kommodifizieren (meint: zu einer massenproduzierbaren, marktfähigen Ware zu machen). So klar sagten sie das natürlich nicht öffentlich. Zu sehr verbrämten sie es aber auch nicht, was die GEW in einem post-mortem von 2014 schön herausgearbeitet hat:

Denn [ungefähr im Jahr 2000] forderte Müller-Böling [ein Bertelsmann, vgl. in einem Moment] von der Hochschule als „Dienstleistungsunternehmen“ eben dies: Dienstleistungen in Forschung und Lehre zu produzieren, diese in „Konkurrenz zu anderen Hochschulen“ anzubieten, „auf die Anforderungen des ‚Marktes‘“ möglichst rasch zu reagieren, wobei der Staat sich in diesen Markt nicht einmischen dürfe (so viel zum neoliberalen Theorierahmen des Modells), Leistungen werden aufgrund von Input-Output-Rechnungen beurteilt usw.

„Marktentwicklung“ umschreibt ganz ausgezeichnet die Mission des Zentrums für Hochschulentwicklung (CHE), das Bertelsmann 1994 aus der Taufe hob. Mit dem Urheber des Zitats im GEW-Zitat, Detlef Müller-Böling, (dessen private Seite mit einer Crapicity von 161 ordentlich vorlegt) fanden sie auch gleich einen hyperaktiven Chef, der die Klaviatur der Medien – egal ob von Bertelsmann selbst (z.B. RTL und Gruner & Jahr) oder von der Konkurrenz – meisterhaft spielte.

Dass die Bertelsmänner ihren Bildungs-„Thinktank“ ausgerechnet einem Diplom-Kaufmann unterstellten, ist aus verschwörungstheoretischer Warte bemerkenswert ehrlich.

Wer war mit dabei? Die HRK!

Mit von der Partie beim CHE war die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), was nicht nur rückblickend als suizidal auf Lemmingniveau zu werten ist. Das schon, weil die Rankings, die das CHE wenig später rauszupumpen begann, die RektorInnen unter heftigen Druck setzten, dem jeweils neuesten Bullshit (häufig geliefert vom CHE selbst) hinterherzurennen.

Rankings oder nicht: Die verheerenden Auswirkungen des vom CHE geschaffenen „Wettbewerbs“ hätten die (damals fast ausschließlich) Herren Rektoren auch so unschwer vorhersehen können, denn in jedem Wettbewerb zwischen N KonkurrentInnen gibt es (maximal) eineN GewinnerIn – und mithin N − 1 VerliererInnen.

Zumindest die Figuren jedoch, die die HRK damals dominierten, glaubten, genau sie würden gewinnen, oder (bei realistischer veranlagten Charakteren) es würde wenigstens so viele Titel zu gewinnen geben, dass einer davon schon für sie abfallen würde. Ich glaube, sie glaubten das, weil sie sich eingeredet hatten, sie würden auch mindestens Harvard, wenn sie nur erst Studiengebühren nehmen und gemäß ihrer brillianten „Strategien“ ausgeben könnten. Ein Vertreter der Spezies Rektor, der sich sehr erkennbar mit solchen Gedanken trug, war der Heidelberger Amtsträger Peter Ulmer (zuvor Juraprof), gegen dessen Gebührenpläne schon 1993 zu protestieren war.

Mit der Gründung des CHE ein paar Jahre später wuchs sich dann der vorher nur sehr allmählich anschwellende Bocksgesang um „Langzeitstudis“ zum ohrenbetäubenden Getöse aus. Er heulte über Menschen, die mehrere Fächer hintereinander studierten – zumeist nur gelegentlich mit Abschlüssen – oder im dreißigsten Fachsemester noch darüber nachdachten, ob sie sich allmählich zur Prüfung anmelden sollten.

So unsinnig das Getöse war – die „Langzeitstudis“ haben damals niemandem weh getan, und jene von ihnen, die sich irgendwie in die heutige Zeit rübergetrickst haben, tun es immer noch nicht –, es sorgte für haufenweise Akzeptanz für das, was einige Jahre später in Baden-Württemberg Trotha-Tausi hieß, nämlich Strafgebühren von zunächst 1000 Mark, später dann 500 Euro im Semester für Studis ab dem vierzehnten Fach- oder auch mal Hochschulsemester.

Damit konnten der damalige baden-württembergische Wissenschaftsminister Klaus Trotha (blaublütig und CDU) und sein das Ganze parallel betreibender niedersächsischer Kollege Thomas Oppermann (SPD) einen Einstieg in die Studiengebühren (ihre erinnert euch: Voraussetzung von Teil eins der Bertelmann-Verschwörung) hinbekommen, zumal nennenswerte Teile der Studischaft den Unsinn von den die Unis schädigenden Langzeitstudis selbst zu glauben glaubten.

Obendrauf gewann die Erzählung von den die Unis im Umkehrschluss „verbessernden“ Studiengebühren spätestens nach dem furchtbaren Ende des 97/98er-Streiks, dessen Agenda rasch vom CHE-Sprachrohr Zeit diktiert wurde, erschreckende Popularität in einer ganzen Generation von Studis. Es dauerte mindestens bis zum Bildungsstreik 2009, bis sich dieses Gift so halbwegs aus den Studihirnen rausgewaschen hatte.

Eine Versammlung in Bologna

Dass die Studiengebühren, statt allmählich auf harvardeske Höhen zu steigen, wieder sterben würden, war ziemlich sicher jenseits der Vorstellungswelt der Bertelsmänner, die sich auf der Zielgeraden zur Erschließung des Bildungsmarkts (ihr erinnert euch: Eine Billion Dollar!) wähnten. So begannen sie munter mit dem zweiten Teil ihres Programms: der Kommodifizierung von Hochschulbildung, also der möglichst einheitlichen Strukturierung von Studiengängen in separat handelbare Pakete („Module”).

Der CHE-Chefideologe Müller-Böling war sich völlig bewusst, dass er mit seinem Gesamtprogramm gegen die Interessen aller Beteiligten handelte:

Im CHE standen dreißig Leute 36 000 Professoren und zwei Millionen Studenten an achtzig bis hundert Universitäten und rund 260 Fachhochschulen gegenüber, außerdem 16 Landesministerien mit jeweils 300 Mitarbeitern

– nun, dreißig Leute sowie das Kapital, die Pressemacht und die Netzwerke von Bertelsmann, wenn mensch ganz ehrlich ist; dass sich gerade die willfährigsten Claqueure der Reichen und Mächtigen damals so ein offensichtlich quatschiges Rebellenimage ankleben wollten, fasziniert mich bis heute.

Angesichts des hinter ihm stehenden ganz großen Bruders Bertelsmann jedenfalls ist Müller-Bölings Jubel von „Ich habe nie gedacht, dass man mit dreißig Leuten Dinge direkt durchsetzen kann” schon zu relativieren. Dennoch ist ihm zu bescheinigen, dass sein Laden die klassische Machttaktik des divide et impera schon sehr geschickt eingesetzt hat. Das allerdings – verschiedenen Gruppen verschiedene Dinge zu versprechen und sie so am Aufbau einer gemeinsamen Gegenwehr zu hindern – hat am Schluss das ganze Projekt ruiniert. Womit ich endlich zum Kern der Verschwörungsgeschichte komme.

Nachdem nämlich das CHE das Bologna-Programm schon zwei Jahre vor der Erklärung formuliert hatte, haben sie sich zunächst keine Mühe mit Parlamenten oder ProfessorInnen gemacht, sondern sind gleich zu den BildungsministerInnen gegangen. Wie genau es dazu kam, dass diese am 19. Juni 1999 im Rahmen eines Treffens von RektorInnen sich für wichtig haltender europäischer Universitäten in Bologna versammelt waren, weiß ich nicht. Tatsache ist: Sie unterschrieben dort eine allenfalls notdürftig getarnte Fassung des Bertelsmann-Programms (also: Studiengänge sollen aus frei handelbaren Modulen aufgebaut werden).

Ein Raum mit unfassbar dichten Wandmalerreien, davor moderne Bestuhlung.

Eine der zwei Aulae Magnae im Archiginnasio in Bologna. Ich glaube, dass in dieser wirren Kulisse die MinisterInnen die Bertelsmann'sche Erklärung unterschrieben haben.

Dieses Papier geisterte in den folgenden Jahren als Bologna-Erklärung durch die Hochschullandschaft, ganz besonders durch die deutsche, die sich in der Folge von 68 im Vergleich zu vielen anderen recht liberal und wenig gängelig zeigte und deshalb aus Bertelsmann-Sicht besonders viel „Reformbedarf“ hatte.

Zu vielen zu viel versprochen

Dass die BildungsministerInnen-Versammlung, die die Forderung damals abgenickt hat, keinerlei politische Funktion hatte – einen „Rat der für Hochschulen zuständigen MinisterInnen“ auf EU-Ebene gab es damals nicht –, war ein geschicktes Kalkül. Auf diese Weise kam die Rede von Bologna nicht als eine politsche Entscheidung einer greifbaren und möglicherweise kritisierbaren Körperschaft in Uni-Gremien und Landesparlamente, sondern als eine Art Zeitgeist oder Naturgewalt. Anfang der 2000er gab es folglich in der Hochschulpolitik eigentlich keine Frage, zu der nicht irgendein Modernität signalisierender Honk[2] eine „Bologna-Perspektive“ gefordert hätte. In den Gesetzesbegründungen zu den entsprechenden Novellen auf Landesebene stand „Bologna“ immer als finales, unwiderlegbares Argument für Verschulung, Kommerzialisierung und Gängelung.

Müller-Bölings Jammern über die Profen und Studis, die seinen Plänen entgegenstanden, war dennoch nicht unbegründet, auch wenn Widerstand und Meuterei in der Regel nur hinter sehr vorgehaltener Hand stattfanden. Doch nicht mal die Bildungsbürokratie stand wirklich hinter dem Mist, den ihre Chefs in Bologna unterschrieben hatten, und sei es nur, weil er intensiv nach Arbeit roch.

Um nun die für Unis zuständigen Landesministerien zu gewinnen, bot das CHE ihnen die Erzählung an, sie könnten auf diese Weise dem „Problem“ der Langzeitstudis – ihr erinnert euch an das Getöse um sie – Herr werden. Daher war wichtigstes Feature von Bologna in der Version der KultusministerInnenkonferenz (niedergelegt in diversenEckwertepapieren“ und Hochschulschäumen), dass der Bachelor „berufsqualifizierend“ und der Zugang zum Master beschränkt sei. Das war entscheidend, denn so konnten die MinisterInnen in ihren Kabinetten angeben, es würden in Zukunft zwei von drei Studis schon nach sechs Semestern wieder von der Uni verschwinden. Selbst ohne das Langszeitstudi-Narrativ wäre das ein 1a Sales Pitch gewesen in Kreisen, die sich endlos Sorgen um die „Überakademisierung“ von „Deutschland“ machen.

Das „Geil! Was ich da an Geld sparen kann!“ der MinisterInnen wäre bei den Studis sicher nicht furchtbar populär gewesen, aber da diese eher die Zeit lasen als Eckwertepapiere und Studi-Publikationen, kam bei ihnen statt „nach drei Jahren raus” die Bertelsmann-Erzählung von der „erleichterten internationalen Mobilität“ an. Die Studis verstanden diese Nachricht im besten Fall als „Partys in lauen Mittelmeernächten“, im schlimmsten Fall als „international konvertible Investition in meine Humanressourcen“ (ich habe damals tatsächlich mit Studis gesprochen, die Unsinn dieser Art absondern konnten, ohne dass ihnen die Gesichtszüge entgleist wären).

Blieben die „36 000 Professoren“, die Müller-Böling auch gegen sich, seine Truppe und den Billionenmarkt Bildung gestellt sah.

Der Fall von Bologna

Hier unterlief den Bertelsmännern endlich ein verhängnisvoller Fehler. Im markradikalen Delirium von „Alleinstellungsmerkmalen“ boten sie den ProfInnen an, die Studiengänge sollten „Profil“ haben. Die ProfInnen hörten „Profil“ und verstanden „ich kann mir Studiengänge für mein Steckenpferd machen und muss nie wieder doofe Einführungslehre machen, bei der ich mich eh nur blamiere“ (vgl. auch German and European Classics). Die kleinen Freiheiten des CHE mit Treu und Glauben gegenüber Studis und Bürokratie wären vielleicht nicht schlimm gewesen für Bertelsmanns Businessplan. Die Profil-Geschichte für die Profen hingegen erwies sich als tödlich für ihn.

Zwar schritten die Ministerien recht schnell gegen die kollektive Profilneurose ein und verordneten, dass es jetzt erstmal ordentlich Bachelorprogramme geben müsste, und zwar in etwa im 3:1-Verhältnis zu den Orchideen-Mastern, da ja nur noch ein Drittel der Studis überhaupt nach dem Bachelor weiterstudieren sollten.

Halbrelief eines schwazen doppelköpfigen Adlers

Auch dieser doppelköpfige Adler war bei der Unterzeichnung der Bologna-Deklaration (vermutlich) zugegen. Angesichts der Gesamtsituation wäre eventuell auch eine Klassifikation als mutierter Geier naheliegend.

Daraufhin haben sich die ProfInnen an den Bachelorkursen verspielt und ihre Curricula jeweils völlig unverträglich zueinander gebaut; was in Zeiten von Magister und Diplom kein großes Problem gewesen wäre – es waren ja jeweils nur eine Handvoll Scheine überhaupt verpflichtend, und die waren meist eher offen definiert – wurde unter den Bedingungen des Sammelns von ECTS-Punkten, von Modulkatalogen und Diploma Supplements (das waren (und sind vielleicht noch) computergenerierte Beschreibungen, die etwas mit dem Inhalt der belegten Veranstaltungen zu tun haben sollten) katastrophal.

Rundum Totalverlust

Und so hat Bologna für niemand funktioniert.

Für die Studis wandelten sich die Studiengänge in endlose Orgien besonders sinnloser Prüfungen, die zu allem Überfluss meist auch noch relevant für die lebensentscheidende Abschlussnote sind. Und statt internationale Mobilität und Parties am Mittelmeer zu ermöglichen, hat Bologna als erstes mal Mobilität schon innerhalb der BRD zumindest sehr schwierig gemacht. Ich war damals Fachstudienberater und hatte die Anerkennungen von Bestandsscheinen von StudienortwechslerInnen vorzunehmen. Selbst wenn ich alle Augen zugedrückt habe, waren OrtswechslerInnen in aller Regel zu recht sauer, wenn ihre Orchideenkurse („Aspekte generativer Mediävistik mit Macromedia Dreamweaver“) der Ausgangsuni allenfalls böse gerupft in unsere Prüfungsverwaltung kamen und sie fast von vorne anfangen mussten.

Bertelsmann hat das CHE für nichts und wieder nichts finanziert und in ihren Medien gepusht (wobei: das Hochschulranking war womöglich schon verkaufsfördernd, wenn auch eher für die Konkurrenz von Holtzbrinck und Spiegel). Ein Modul „Betriebswirtschaft 101“ gibt es bis heute nicht von ihnen zu kaufen, und gäbe es das, es wäre angesichts immer noch wild inkompatibler Studiengänge ein völliger Ladenhüter. Tatsächlich sind eigentlich alle Experimente mit Privathochschulen in der BRD (von dem Sonderfalll Anthro-Uni Witten-Herdecke mal abgesehen) als Treppenwitz gelandet, bis hin zur Milka-, äh, Jacobs-, äh, Constructor-Universität, deren „Assets“ inzwischen irgendein ex-russischer Oligarch liquidieren darf.

Die Bertelsmann Education Group – ja! Das gibts noch! – ist mithin nicht annähernd ein florierender Lieferant für ECTS-Punkte auf dem Sprung in den DAX geworden, sondern ein ziemlich beliebiges Konglomerat von Läden, die früher mal „Schwesternschule“ hießen.

Die ProfInnen haben unterdessen immer mehr Druck bekommen, doch nur langweilige (wenn auch immer noch profilierte) Einführungsvorlesungen zu halten – nur sind die angesichts der Prüfungsbulimie jetzt viel stressiger geworden. Wohl den ProfInnen, die hinreichend viele Drittmittel einwerben, um die Korrekturlast auf nachgeordnete Personen abwälzen zu können – und ein Glück, dass die DrittmittelgeberInnen nicht so genau hinsehen, wenn Projektmittel für Bolognaquatsch ausgegeben werden, für den sie natürlich eigentlich nicht gedacht sind.

Schließlich haben auch die MinisterInnen nichts gewonnen: Nach ein paar jeweils vergurkten Reformen der Hochschulgesetze und einer Großpackung Flak in deren Folge studieren jetzt in fast allen Fächern doch wieder alle bis zum Master, weil eigentlich kein Mensch Bachelors einstellt, solange es auch Master gibt – und Studieren, ganz ehrlich, auch mit dem ganzen Bolognamist noch weniger unangenehm ist als die durchschnittliche Lohnarbeit. Deshalb ist das Plakat auf dem Eingangsbild so verschwörungstheoretisch relevant: Es tut nicht mal noch wer so, als hätte Bologna den angeblich so um Studienzeitverkürzung besorgten Ministerien irgendwas gebracht.

Großaufnahme einer Statue eines Kamels, das gerade von einem Raubtier überfallen wird.

Im Parco della Montagnola in Bologna befindet sich eine Statue, die den Zustand der nach der Stadt benannten Demontage der Hochschulen ganz gut illustriert.

Ich fand es bei allem Elend, das Bologna über die Hochschulen und ihre InsassInnen gebracht hat, immer tröstlich, dass keine der Parteien, die sich da irgendwie verbessern wollte, irgendeinen Nutzen aus der Bertelsmann-Verschwörung hat ziehen können. Ein Wermutstropfen ist, dass ausgerechnet die beteiligten MinisterInnen von dem Elend weitgehend verschont blieben.

Wer aus diesen Kreisen aber doch böse reingebissen hat, ist der Bertelsmann-Oberchef zu Zeiten der Verschwörung, Thomas Middelhoff. Der wurde zuerst bei Bertelsmann untragbar und hat danach Karstadt so übel in den Graben gewirtschaftet, dass er dafür einfuhr (wenn auch effektiv nur ein paar Monate) – die erneute Insolvenz der Arcandor-Nachfolgeunternehmen neulich ist eine späte Folge von Middelhoffs großen Strategien.

Nicht ganz so justiziabel hat das CHE selbst im Jahr 2011 – Bertelsmann hatte sich längst anders orientiert und sein „Think Tank” war mehr oder minder in der Versenkung verschwunden – im Arbeitspapier Nr. 148 eingeräumt:

Mittlerweile ist klar, dass sowohl das zeitliche Ziel nicht eingehalten werden konnte, als auch dass die Veränderungsprozesse in den Hochschulen weitaus komplexer[3] sind als gedacht.

So geht es mit Verschwörungen: Die meisten funktionieren nicht.

[1]Nur, um allzu buntes Kopfkino gleich zu bremsen: Damals gab es zwar schon Powerpoint, aber fast keine Beamer. Könnte aber schon sein, dass noch ein paar physische Folien oder gar Dias von Vorträgen in dieser Richtung existieren. Diese gehören, finde ich, ins deutsche historische Museum.
[2]Dabei muss ich auch als GEW-Mitglied einräumen, dass der damalige Hochschul-Oberhoncho der Gewerkschaft, Gerd Köhler, alarmierend offen gegenüber dem Bolognaquatsch war, was ganz gewiss Immunreaktionen von dieser Seite erheblich reduziert hat. Was sich Köhler von dieser Haltung versprochen hat, ist mir nie ganz klar geworden.
[3]Anselms Bullshit-Indikator Nr. 4: Wenn Leute, die noch nicht mal ihren Mail-Client selbst konfiguriert kriegen, von „komplex“ reden, ist der Rest der Aussage wahrscheinlich Bullshit.

Zitiert in: Unglückliche UI: Wenn Haken unausweichlich sind Bruchsal zwischen Mandolinen und Soldaten

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